Finde hier jede Menge lebendiger Inspiration und Tipps, um deine Lebenserinnerungen, deine eigene Biografie zu schreiben und in Form zu bringen! Geschrieben von einem Kind der Fünfziger Jahre, geboren im Kohlenpott. Gedacht FÜR DICH!

Montag, 3. Mai 2021

Wie bringe ich Spannung in meine Autobiografie? - der gemeine Cliffhanger

Moin, meine lieben Schreiber- und Leserlinge!

"Oh, was für ein Glück! Seit neun Jahren lebte Deutschland nun im Frieden, die Wirtschaft befand sich im Aufschwung, der Wohlstand stieg und nun das. Hoffnung. Zukunft. Ein Kind. Wie wunderbar ...!"  

Mit diesem Zitat endete der gestrige Textauszug. Wie wunderbar? Wäre man damit etwa zufrieden und hielte den Text für beendet? Natürlich nicht. Man will wissen, wie es weitergeht. Bekommt die Frau das Kind wirklich? Wird es gesund sein? Junge oder Mädchen? Wird der Mann bei ihr bleiben? Wird sie wirklich so glücklich sein mit einem Kind wie gedacht? Und von welchem Kind ist da überhaupt die Rede?

Prima. So soll's sein. Wenn ihr daran denkt, eure eigenen Lebenserinnerungen aufzuschreiben und das nicht nur für euch selbst, sondern auch für andere zu tun - wovon auszugehen ist - ist ein wenig Dramaturgie von Nöten. Dazu zählt, dass Spannung erzeugt wird und dass Szenen oder Kapitel möglichst mit mindestens einer Frage enden, die beim Leser innerlich aufploppt. Man nennt das auch Cliffhanger. Ihr kennt das doch sicher: Der Held rutscht in unwegsamem Gelände in den Bergen ab, verfolgt vom Antagonisten, dem bösen Fiesling. Geröll poltert den Berg hinab, der Held kann sich gerade noch mit einer Hand halten und vor dem Absturz bewahren, doch die Kräfte erlahmen. Der Fiesling ist da und hebt mit diabolischem Grinsen den Springerstiefelfuß, um auf die haltende Hand zu treten und ... Szenenschluss. Kapitelende. Mist!

So eine Gemeinheit!, denkt der Leser. Ich will sofort wissen, ob mein Held überlebt. Er muss einfach. Ich mag ihn - oder sie - doch so. Ich brauche ein Happy End. Aber wie soll mein Held, meine Heldin denn in dieser beschissenen Situation? Ist es nicht aussichtslos? - Ha! Und schon habt ihr den Leser. Genau diese geradezu quälende Unsicherheit und Spannung nämlich machen das Lesevergnügen aus. 

Nun wird ja in deiner Story nicht unbedingt eine lebensbedrohliche Situation der nächsten folgen und möglicherweise kamen gefährliche Klippen, an denen du hättest hängen können, gar nicht vor, weil es die in eurer Gegend nicht gibt und du lange Reisen fürchtest. Macht nichts. Minicliffhanger reichen auch. Hauptsache, es bleibt interessant, Leser oder Leserin hoffen und bangen und freuen sich mit dem Protagonisten und sie bleiben am Ball, blättern eine Seite nach der anderen um. Weil sie beginnen, Held oder Heldin zu mögen, so wie man gute Freunde mag. Weil sie echtes Interesse entwickeln.

Von meiner Geschichte wisst ihr bereits, dass knapp zehn Jahre nach Kriegsende ein Kind unterwegs ist. Noch fragt ihr euch vielleicht, ob es sich überhaupt lohnen wird, dieses Kind näher zu kennenlernen, es auf seinem Lebensweg zu begleiten. Diesen Winzling, der noch nicht viel mehr ist als ein schlagendes Herz. Allerdings wird der Winzling größer, Tag für Tag. Und, soviel ist klar, das Kleine braucht Platz und Weite ...:

Gleich am nächsten Tag meldete Margrit den besonderen Umstand beim Bergbau-Verein, bei dem sie seit Jahren als Sekretärin tätig war. Sie arbeitete gern dort, dankbar, dass Paula, ihre Mutter, ihr, obwohl alleinerziehend, nach Abschluss der mittleren Reife noch den Besuch der höheren Handelsschule ermöglicht hatte. So konnte Margrit einen anständigen Beruf erlernen, anstatt irgendwo in den Haushalt zu gehen. Sie war begabt und beliebt. Sie tippte schneller als manch andere und übersetzte nach Kriegsende mit Freude englische Texte, was unerlässlich war wegen der Zusammenarbeit mit den Besatzern. War ihr Chef unterwegs, auf Dienstreise womöglich, wurde es behaglich im Büro, zwischen angestaubten Ordnern und blühenden Callapflanzen. Sobald Margrit ihr Stenogramm mit ihrer Olympia abgetippt und die Ablage erledigt hatte, griff sie, nur mit einem leichten Anflug schlechten Gewissens, zu den Stricknadeln, um einen neuen Pullover oder gar ein Kleid für sich zu stricken und zum Schluss mit Blüten zu besticken. Sie hatte nette Kolleginnen, die ebenfalls strickten, verdiente nicht schlecht und bekam Anfang des Winters kostenlose Kohlen, mit denen Bernhard den Ofen in ihrem Zimmer in der Wohnung der Witwe heizte, bei der sie nach dem Krieg einquartiert worden war und wo nun auch er wohnte. Ob Axi, der Wolfsspitz, der ebenfalls dort wohnte, ein Baby tolerieren würde, stand noch in den Sternen. Doch Margrit war entschlossen, alle Sorgen zu verdrängen und sich in Vorfreude zu üben: Bald schon würde ihr kein Chef mehr sagen, was sie zu tun und zu lassen hatte. Stattdessen würde sie, angetan mit einer frisch gestärkten Schürze, in aller Privatheit Frikadellen braten oder Apfelpfannkuchen, Gulasch mit Klößen und Apfelrotkohl kochen und für das Kaffeetrinken am Nachmittag Königskuchen mit sechs Eiern bereiten, den Duft in der Küche genießen und den Tisch mit dem guten Geschirr decken. Am Waschtag würde sie die große Wäsche mit Anstand hinter sich bringen und an einem anderen Tag die wenigen Silbersachen putzen und die Schuhe ihres Gatten. Mit der elektrischen Nähmaschine schließlich, die sie von einer kürzlich verstorbenen Cousine ihrer Mutter geerbt hatte, würde Vorhänge, Kissenbezüge und andere schöne Dinge nähen.
Nähen. Das war überhaupt das Stichwort. Margrit brauchte ein erstes Umstandskleid, noch bevor sie die ersten Strampler kaufen würde. Gleich nach Feierabend fuhr sie mit der Straßenbahn zum Limbecker Platz, um bei Althoff einen hübschen, marineblauen Stoff mit weißen Tupfen zu kaufen. Nach dem Abendbrot stellte sie die Nähmaschine auf den Tisch und begann mit der Arbeit. Das Kleid wurde wunderbar weit. Weit genug, um sich das Essen, dessen Reichlichkeit sie in den Kriegsjahren so schmerzlich vermisst hatte, künftig unbemerkt schmecken zu lassen - trotz des leichten Übergewichts, das sich in den letzten Jahren eingestellt hatte. Überhaupt nahm Margrit sich vor, einfach nur noch glücklich zu sein und alle Ängste und unliebsamen Erinnerungen zu vergessen. Bernhard, so viel war klar, würde glücklich sein, wenn sie glücklich war. Und die neun Monate würden ganz sicher im Nu vergehen.

                                                                                                        Copyright Sigrid Ruth Stephenson

                                                                                Kleine "Klippen" aus Moos

Also, neun Monate können mit all ihren Beschwernisse schon wie ein Berg vor einem stehen. Ein Berg, der so einige Klippen haben kann. Aber genügt dieses Ende, um euch interessiert zu halten? Behagt euch das Setting, also die Atmosphäre der Fünfziger Sauberfrau-Jahre? Was fragt ihr euch gerade?

Über eure Antworten in den Kommentaren freue ich mich sehr!

Bis bald sagt Eure

Sigrid Ruth

2 Kommentare:

  1. Hallo Sigrid, ich kann mir nicht vorstellen, dass Margrit sich in der Fünfziger Jahren auch nur leichte Gedanken über Übergewicht gemacht hat. Meine Mutter (Jahrgang 1926, zweimal ausgebombt, auf dem Lande untergekommen) hat immer gesagt "zu dünn ist nicht schön, da sieht man hier am Hals (sie meinte das Schlüsselbein) die Knochen so". Entsprechend wurden meine Geschwister und ich in den Fünfziger Jahren und später auch die Pflege- und Enkelkinder in den Siebziger Jahren mit dickem Brei gefüttert, damit wir rote Backen bekamen. Heute begleitet mich mein Babyspeck immer noch...

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    1. Interessant, liebe Oma Sanne. Meine Mutter war tatsächlich schon als Konfirmandin übergewichtig. Das war 1937. Und sie litt, wie man im einzig mir bekannten Brief ihrer Mutter Paula, meiner Oma, lesen kann, während des Krieges darunter, "nicht genug zu futtern" zu bekommen. Sie war immer drall. Aber du könntest Recht haben: Vermutlich war das dennoch kein Thema. (Bei mir später schon während der Schwangerschaft. ;-)) Das werde ich also im Manuskript noch einmal überdenken. Danke dir!

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