Moin, meine lieben Schreiber- und Leserlinge!
"Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können." Das schrieb Jean Paul, 1763 - 1825, ein deutscher Schriftsteller, dessen Romane besonders Frauen gefielen. Tröstlicher Gedanke das! Je älter die Menschen werden, desto mehr leben sie in ihren Erinnerungen. Gutes Langzeitgedächtnis meets mieses Kurzzeitgedächtnis. Ein Umstand, bei dem man genießen kann, dass die Erinnerung so manches vergoldet. Hilfreich gerade für allein lebende Menschen. Gehörst du auch zu den Menschen, die sich gern an "die guten alten Zeiten" erinnern? Zu den Silver Agern, die ihre Erlebnisse wertschätzen und verarbeiten, indem sie endlich einmal alles aufschreiben. Sehr gut. Und klug. Wenn man zumindest das aufschreibt, was einem wieder und wieder in den Kopf kommt, hilft das - so meine Erfahrung - beim Loslassen. Was wohltuend ist. Aufschreiben ist in der Regel leichter, als Menschen zu finden, denen man seine Erlebnisse mündlich erzählen könnte. "Nun hör bloß auf mit den alten Geschichten ...!" - Wer lässt sich das schon gern vor den Latz knallen. Wenn die Erlebnisse und Erinnerungen einfach raus müssen und man nicht ständig mit den Wänden reden will, ist der Griff zu Stift und Tastatur ideal. Man schreibt endlich seine Autobiografie. Das macht Spaß. Das tut gut. Nun ja, manchmal macht es auch traurig und wehmütig. Man spürt ja, was man verloren hat. Doch wer offen dafür ist, wird auch ganz schnell dankbar, irgendwann vielleicht sogar demütig.
Wie bitte? Du fändest das anmaßend, deine Biografie zu schreiben? Das ist nur was für berühmte Leute? Blödsinn! Grundsätzlich kann jeder aufschreiben, was er will. Außerdem ist jede Lebensgeschichte einzigartig und - je nach Fokus und Erzählweise - auch interessant. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch die deine. Memoirs werden zunehmend gern gelesen. Allerdings ist es erst einmal nicht wichtig, dass du damit Geld verdienst. Erst recht musst du nicht berühmt damit werden. Du tust es für DICH - und das ist dein gutes Recht.
Wenn ich das Wort Silver Ager denke, fällt mir sofort die silbermähnige Greta Silver ein. Die flotte Influencerin und You-Tuberin hat noch ein paar Jährchen mehr als ich auf dem Buckel und wirkt mächtig fit. Sie lässt jeden spüren, dass alte Menschen etwas zu sagen haben und mitten im Leben stehen - mit all ihren Erfahrungen. Alter kann Reichtum und Erfüllung bedeuten. Von Genuss ganz zu schweigen Unter anderem davon redet sie, davon schreibt sie. Hast du ihr Buch "Wie Brausepulver auf der Zunge" schon gelesen? Herrlicher Titel! Ein Jahr später (2019) erschien ihr zweites Buch: "Alt genug, um mich jung zu fühlen".
Fühlst du dich alt genug, um endlich das aufzuschreiben, was dir wichtig war und ist in deinem Leben. Willst du dich wieder jung fühlen dabei? Ich habe mich durchaus wieder jung gefühlt, als ich mich in meine Kindheit versetzt habe, in meine Schulzeit. Hier im Blog könnt ihr - als Hannahs Geschichte - davon lesen. Wenn ich bis dahin dachte: Meine Güte, fühlt sich an wie gestern erst!, so dachte ich beim Schreiben: Meine Güte, fühlt sich an wie heute. Traurig und schön. Vor allem schön.
Also, auch wenn Silver Ager zuweilen als berufstätiger, aktiver, erfolgreicher Mensch im besten Alter, auch Best Ager genannt, bezeichnet wird, ich finde, jedes Alter ist es wert, genauer betrachtet und künstlerisch zum Ausdruck gebracht zu werden. Je älter, desto eher allerdings. Die Tage werden kürzer - irgendwie. Schreibt. Oder lasst schreiben.
Eine Abkürzung gibt es auch gerade mit Hannah Geschichte. Ich lasse einiges aus, was ihr später im Buch lesen werdet, und mache einen Satz, direkt hinein in die Disco:
Padders?
Hannah hinkte ihrer Zeit hinterher. Sie verfügte über keine aktuellen Schallplatten und erst recht nicht, so wie Bärbel, über einen eigenen Koffer-Plattenspieler. Eine einzige interessante Single hatte sich im Plattenschrank ihrer Eltern zwischen die langweiligen Schellackplatten von Anneliese Rothenberger, Rudi Schuricke und Rudolf Schock verirrt. Vermutlich ein Geschenk, das nicht gewürdigt wurde. Ein gewisser Manfred Mann sang Hoowhadiddi-di-dididum-dididoo. Oh, wie toll! Einfach super, diese Musik. Glücksgefühle durchströmten Hannah. Von nun an spielte sie die Platte, deren Rhythmus ihr unmittelbar in die Beine, ja in den ganzen Körper fuhr, in jeder freien Minute. Sie dudelte die Single, bis Mutti wieder einmal über ihre schlechten Nerven klagte und ernsthaft damit drohte, sie wegzuwerfen. Was Hannah dazu brachte, sie seltener und leiser zu höher und nur dann voll aufzudrehen, wenn ihre Eltern endlich einmal wieder außer Haus waren.
Wenig später, Hannah und Bärbel waren inzwischen vierzehneinhalb, stellte Bärbel eine Frage, deren Folgen alles bisher Erlebte in den Schatten stellen würde: „Kommst du mit zu Padders?“
„Zu wem?“
„Zu Padders. Das sind die Pater von Don Bosco. Die machen Musik für junge Leute im Gemeinderaum. Kirchendisco.“
Hannahs Herz schlug höher. Musik. Disco. Da waren Jungs! Diese geheimnisvollen Wesen, die sie ebenso anzogen, wie sie sich vor der näheren Bekanntschaft mit ihnen fürchtete. Doch mit jedem Monat den sie älter wurde, nahm die Sehnsucht zu, einem von ihnen näher zu kommen. „Ich glaube, das erlaubt meine Mutter nicht“, sagte sie und spürte deutlich, wie ihre Mundwinkel nach unten sanken. Mutti erlaubte nie, was richtig Spaß machte.
„In der Krypta von St. Paulus gibt es auch jeden Sonnabend Disco“, schob Bärbel nach. „Da könnten wir auch hin. Das ist näher dran.“
Die katholische Kirche war Hannah bekannt. Sie lag fünf Minuten von Bärbels Wohnung entfernt. Während Hannah evangelisch getauft worden war, war Bärbel katholisch. Noch etwas, was sie auszuzeichnen schien. Die katholischen Kirchen waren so viel schöner und geheimnisvoller als die schlichten protestantischen. Allerdings wurde die Sache auch strenger gehandhabt. Bärbel hatte regelmäßig zur Sonntagsmesse anzutreten und zur Beichte, bei der sie hinter einem Vorhang durch ein hölzernes Gitter dem Pater auf der anderen Seite ihre Sünden gestand. Und wenn bei Padders oder in der Krypta wirklich etwas Schlimmes geschähe, würde Bärbel vermutlich selbst nicht dahingehen, weil sie es ja dann würde beichten müssen. Und diese Beichte im Halbdämmer und bei Weihrauchduft, die Hannah auch irgendwie romantisch fand, lag ihr schon jetzt gehörig auf dem Magen.
Hannah rang mit sich. Tanzen fand sie toll. Sie bewegte sich gern zu Musik, sie mochte den Beat, sie liebte die schmelzenden Liebesballaden. Und dieser Peter Maffay, der seit kurzem mit einem Hit namens "Du" im Radio zu hören war, jagte ihr einen Schauer nach dem anderen über den Rücken. Das strafte ihr stilles Versprechen, sich auf die Schule zu konzentrieren und Jungs Jungs sein zu lassen, Lügen. Das deutliche Flattern in ihrem Magen zeigte ihr doch, dass es sehr reizvoll sein könnte, Discoluft zu schnuppern und junge Männerarme um ihre Taille zu spüren und Jungenhände auf ihren Schultern. "Das ist auch toll", flüsterte Rosa, die in letzter Zeit immer seltener von sich hören ließ. "Du wirst es genießen". Hannah musste es einsehen: Es half nichts, sie würde Mutti fragen müssen.
Mutti zu überzeugen, war ein gutes Stück Arbeit, doch Hannah erwies sich als zäh. Und es gelang. „Na gut, du darfst gehen, aber um neun bist du wieder zu Hause.“
„Wirklich? Oh, danke, Mutti, du bist die Beste!“
Hannah war selig. Bereits um neun Uhr zu Hause sein zu müssen, war zwar schon etwas peinlich, aber ein Anfang war gemacht. Ein echtes Problem allerdings war die Auswahl der Garderobe. Hannah hatte ja nun mal mehr gebrauchte als neue Klamotten im Schrank. Nagelneues gab es selten, Modisches noch seltener. Sie besaß ausschließlich Röcke, brave Blusen und Strickjacken, dazu ein, zwei Kleider. Hosen galten als ausgesprochen unweiblich, zumindest in Muttis Welt. Sie besaß sogar gebrauchte Schuhe, weil die Brauns einfach nicht genug Geld hatten. Das alles mochte für den Alltag noch durchgehen, aber doch nicht für das, was sie nun vor hatte...!
Zu ihrem ersten Disco-Abend zog Hannah das Schickste an, was ihr zur Verfügung stand: ein tomatenrotes Jerseykleid mit heller Knopfleiste und Stoffgürtel, dessen Saum kurz überm Knie endete, dazu eine nagelneue eierschalfarbene Strumpfhose mit Lochmuster, die sie sich ertrotzt hatte.
Wie vereinbart, holte sie Bärbel zu Hause ab. In einem kurzen roten Faltenrock, den sie noch nicht kannte, sprang ihre Freundin im Treppenhaus die Stufen hinab. Der enge weiße Pulli mit den roten Paspeln zeichnete die Linie ihrer Brüste nach und mit ihren weißen Kniestrümpfen, die noch ein wenig kindlich wirkten, hätte sie Lolita sein können. Ihre glänzenden, weizenblonden Haare waren inzwischen bis über ihre Schultern gewachsen und erschienen Hannah wie eine Engelsmähne. Aschblond, einen halben Kopf größer als Bärbel und mit viel zu strammen Waden, fühlte sie sich wie ein Bauerntrampel neben ihr und es stand zu befürchten, dass in der Disco nicht ein einziger Junge sie ansehen würde, solange Bärbel da war. Oder vielleicht doch ...?
Hier geht es auf kürzestem Wege zur kostenlose Leseprobe von Hannah - Band 1, in dem es um erste Disco-Besuche geht - und um weit mehr
Bis bald sagt Eure
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