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Donnerstag, 6. Mai 2021

Mit allen Sinnen schreiben - Hannahs Umzug in die Küche

Moin, meine lieben Schreiber- und Leserlinge!

Wie macht man das: zwei Erwachsene, drei kleine Kinder und eine zweieinhalb-Zimmer-Wohnung? Nach dem II. Weltkrieg war so was ziemlich normal. Andererseits, drei Kinder im Elternschlafzimmer - so prickelnd war das nicht. Das fand auch Hannahs Mutter. Woraufhin Hannahs Vater zur Säge griff ...

Umzug ins Reich der stinkenden Träume
„Bernhard, wir müssen etwas ändern. - Drei Kinder im Schlafzimmer sind auf Dauer wirklich kein Zustand.“
„Aber es gibt nun einmal kein Kinderzimmer in unserer Wohung, Liebling.“
Doch Papa wäre nicht Papa gewesen, wenn ihm nicht etwas eingefallen wäre. Nach kurzem Nachdenken holte er die Säge aus dem Keller. Er rollte den Teppich im Wohnzimmer zusammen, stapelte die drei Einzelteile des kantigen, weinroten Ecksofas an einer Wand übereinander, setzte die Kredenz auf fettige Speckschwarten, schob sie über den Linoleumboden in die Diele und ließ die Musiktruhe folgen. Wenig später holte er den Kleiderschrank aus dem Schlafzimmer und stellte ihn mitten ins inzwischen fast leere Wohnzimmer hinein, die Rückseite Richtung Zimmertür. Mutti rollte mit den Augen. „Das sieht aber einfach scheußlich aus.“
„Wart’s nur ab“, sagte Papa, „ich habe noch einen Rest von der alten Tapete. Damit tapeziere ich den Schrank von hinten. Wirkt dann fast wie eine Zimmerwand.“
Mutti seufzte tief. „Nun gut, ich habe noch Stoff“, sagte sie. „Daraus könnte ich uns einen Vorhang als Zwischentür nähen.“
Papa gab Mutti einen Kuss. „Wunderbar, Liebling!“
Dann zersägte er beherzt die Ehebetten genau dort, wo der Besucherritz war, und stellte sie Kopf- an Fußende aneinander.
„Passt!“, sagte er und machte sich daran, eine Leiste zwischen Schrank und Wand für den Vorhang zu montieren.
„Euer Papa ist schon ein toller Hecht“, sagte Mutti, „jetzt haben wir tatsächlich ein Zimmer mehr.“
Das neue Zimmer bekamen Harald und Iris. Das Kleine I war dem Sprossenbett soeben entwachsen. Harald würde nicht länger Abend für Abend brüllen müssen, weil er Angst davor hatte, die erste Etage des Leiterbetts zu besteigen, das er bislang mit Hannah teilte, die erst recht nicht oben schlafen wollte. Von nun an würden Harald und Iris auf je einem der stramm gepolsterten Sofateile nächtigen, die einmal das Prachtstück der guten Stube gewesen waren.
Am Nachmittag kamen zwei fremde Männer, um schnaufend eine Sitzgarnitur zu den Brauns in den dritten Stock zu tragen, die bauchig und beige war.
„Man sieht gar nicht, dass die Garnitur schon gebraucht ist“, sagte Mutti, strich über den Bezugsstoff, schüttelte die bestickten Sofakissen auf, die sie zuvor dem Ecksofa entrissen hatte, und platzierte sie auf dem neuen, alten Sofa.
Noch am selben Abend brachten zwei andere Männer ein graues Klappsofa und bauten es in der Küche auf, gleich neben dem stinkenden Ölofen.
„Das ist für dich, Hannah“, sagte Mutti. „Du darfst von nun an ganz allein in der Küche schlafen, mein großes Mädchen. – Ist das nicht toll?“
Das fand Hannah ja nun gar nicht. Das graue Sofa fühlte sich ekelig rau an. Und es roch komisch.
„Sieh mal, es hat einen Kasten für dein Bettzeug“, sagte Mutti und ruckelte an dem Ungetüm, „aber pass bloß auf, dass du dir beim Auf- und Zuklappen nicht die Finger klemmst. Das tut bestimmt höllisch weh.“
Hannah sah zu, wie ihre Mutter das unfallfreie Klappen vorführte. Dann sah sie sich in der vertrauten Küche um, in der sie nun auch noch schlafen sollte. Ihr Blick fiel auf die Eckbank vorm Fenster, in dem das gesamte Spielzeug spätestens abends beim Aufräumen zu verschwinden hatte. Sie betrachtete den Esstisch mit der Resopalplatte, an dem nicht nur gegessen, sondern auch gemalt und gespielt wurde und an dem sie bald ihre Hausaufgaben zu machen hätte. Sie sah den Küchenschrank mit den gläsernen Schubladen, in denen Mehl, Zucker und Haferflocken aufbewahrt wurden, und den Küchenherd mit der Schublade unten drin, in dem die schwere, schwarze Bratpfanne ihren Platz hatte, mit der man laut Mutti zur Not jeden Dieb würde erschlagen können und aus der das Bratfett nach Gebrauch mit Zeitungspapier herausgewischt wurde, was den Gestank nach altem Fett großzügig verteilte. „Bratpfannen dürfen nicht gespült werden“, behauptete Mutti. Der Geruch schien sie nicht zu stören. Hannah aber hasste üble Gerüche. Und nun würde sie in diesem Koch-, Back-, Ess-, Spielraum auch noch schlafen müssen. Das war ja so ungerecht. Sie hätte so gern ein Zimmer für sich ganz allein gehabt, ein richtiges Kinderzimmer. Aber das war was für reiche Leute, das wusste sie ja. Für die gelähmte Klara aus Frankfurt zum Beispiel, die dort, begleitet von wundervollen Puppen und einem Schaukelpferd, die kleine Heidi aus den Schweizer Bergen zu Besuch haben durfte und von einem Hauslehrer unterrichtet wurde. Gerade erst hatte Mutti aus dem Buch vorgelesen. Doch Hannah hatte kein Schaukelpferd bei sich und keine kostbaren Puppen, sondern nur halbkaputte. Nacht für Nacht würden sich nun der Geruch von Graupensuppe, Kochfisch oder gebratener Blutwurst mit dem Gestank des Ölofens mischen und ihr in die Nase steigen. Doch Widerspruch war zwecklos.
Von nun an schlief Hannah unruhiger als bisher. Sie träumte von gemeinen Räubern und anderen bösen Männern, von Hexen und Feen, von Wölfen und dem Rotkäppchen. Wenn der Mond am Himmel immer runder wurde, geschah etwas Seltsames. Hannah begab sich nachts im Wohnzimmer, wenn sie mal Pipi musste, um in der Ecke hinter der Musiktruhe den Schlüpfer herunterzuziehen.
„Ach du lieber Gott, das Kind schlafwandelt ja“, sagte Mutti, „das muss aber schleunigst wieder aufhören.“
Und es hörte wieder auf – irgendwann. Rosa meldete sich nach längerer Pause wieder zu Wort: „Nimm dich zusammen, Hannah. Sei endlich mutiger.“ Hannah meinte, spitze Zähnchen in ihren Ohrläppchen zu spüren „Es lohnt sich“, fuhr Rosa fort, „wenn du mutiger wirst, gehört dir nicht nur diese Küche. Dann gehört dir die ganze große, weite Welt.“
Die ganze Welt? Was sollte das sein? Die Welt außerhalb der Küche, der Wohnung, des Hauses, der Straße, der Stadt – wo sie wohl aufhörte? Hannah horchte in sich hinein. Und trotz aller Angst vor dem Unbekannten, die bisher ihr Herz erfüllt hatte, ließ es sich nicht leugnen: Diese Welt interessierte sie. So gewöhnte Hannah sich ans Alleinschlafen. Das Schlafwandeln legte sich wieder. Die Neugier wuchs. Bald würde sie endlich zur Schule gehen dürfen und schreiben und lesen lernen und sicher ganz viel erfahren von der großen, weiten Welt da draußen.


 So sieht modernes Essen heute aus - in den 1960er-Jahren und in Westfalen roch es nach Kochfisch, Panhas und Graupensuppe.

...

Heute mal eine praktische Aufgabe für euch: Was ist der stärkste Geruch, an den ihr euch erinnern könnt. Schließt die Augen. Könnt ihr ihn riechen? Habt ihr ihn ...?! - Wunderbar. Und nun versucht, Bilder dazu zu erkennen, vielleicht Stimmen zu hören, Gesichter zu erkennen. Und schon müsstet ihr eine Geschichte vor Augen haben. Schreibt sie einfach auf, ohne langen zu überlegen. Lasst es fließen. Ein paar Sätze genügen. Fürs Erste ... 

Was daran so wichtig sein soll? Ganz einfach: Eine gute Geschichte ohne Einbeziehung der Sinne - das wird nichts werden. Lasst eure Leser und Leserinnen miterleben, was es zu sehen, zu hören, zu riechen, zu schmecken, zu tasten gibt. Hautnah. Sie werden es euch danken.

Und nun noch eine GROSSE BITTE ZUM SCHLUSS: Bitte helft mir,  Hannahs und damit meine Geschichte in die Welt zu tragen und künftigen LeserInnen Freude zu machen. Des Mädchens, das lernen wollte und nicht so recht durfte. Das heiraten sollte, obwohl es nicht "musste", es nicht so recht wollte und dann doch brav tat. Und tat. Und tat. - Habt ihr Lust, den heutigen Text zu teilen? Oh, wie schön. DANKE SEHR! :-)

Bis bald sagt Eure

Sigrid Ruth

1 Kommentar:

  1. Liebe Sigrid, in diesem Text habe ich Rosa das erste Mal reden gehört. In den anderen Teilen kam sie nicht aktiv vor. Auf jeden Fall freue ich mich über die bisherigen Tipps zum kreativen Schreiben. Danke! LG Susanne

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