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Dienstag, 4. Mai 2021

Schreibtipp "Kill your darlings" oder: Weg mit Rosa, der Stimme aus dem Off?

Moin, meine lieben Schreiber- und Leserlinge!

"Boah, Sigrid", appte gestern eine befreundete Blog-Leserin, "konntest ruhig ein bisschen länger deine Geschichte lassen. War mitten drin ... und schwups ... zu Ende." 

Ich gelobte Besserung.

"Das hoffe ich doch!" 

Und so tauche ich heute mit euch gleich zu Beginn in die Fortsetzung der Geschichte ein. Im Anschluss aber brauche ich euren Rat: Kill ich my darling oder lieber nicht?

...

Hannah atmete. Hannah schrie. Sie wurde gewaschen und in Stoffwindeln und Gummi gewickelt. Hemdchen, Jäckchen, Strampelbuchse – fertig war das Kind. Mutti durfte verschnaufen. Papa bekam das Gör durch eine blankgeputzte Scheibe zu sehen und auf den ersten Blick verliebte er sich in das kleine Mädchen.

„Ein Mädchen, wie schön!“, sagte Mutti seufzend, als Papa sie endlich in ihrem Zimmer besuchen durfte. „Unsere kleine Hannah.“
Ja, ein Töchterchen. Papa platzte fast vor Stolz. Zugleich spürte er den Druck der Pflicht. Nun hatte er also für zwei Mädchen zu sorgen. Er verscheuchte die Angst, es nicht zu schaffen, und nahm sich ganz fest vor, künftig nicht nur seine Frau, sondern auch das Töchterchen stets glücklich zu machen. Was für eine Herausforderung, ja Illusion! Aber wie hätte er das damals, im Überschwang des Glücks, ermessen sollen.


Die Stimme
 

Es muss wohl noch im Kreißsaal gewesen sein, als eine freche Stimme in Hannah erstmals auf sich aufmerksam machte. Anfangs war sie noch ganz leise, mehr ein Gefühl. Die Stimme schlug dem kleinen Mädchen vor, schnurstracks ins dunkle Warme zurückzukehren, wo es so beruhigend geklopft und geschaukelt hatte. „Hier draußen willst du doch gar nicht sein ...!“, sagte sie.
In der Tat ...! Das merkte Hannah auch gerade. Es war unangenehm hell da draußen. Und kühl. Außerdem war sie hungrig. Sie holte Luft und brüllte los. Eine Schwester legte sie an Muttis Brust. Herrlich, diese prompte Bedienung, auch wenn kaum etwas raus kam aus dem schönen Weichen.

Schon am nächsten Tag brüllte Hannah eine Weile vergeblich. Unwissende hatten allen Müttern und natürlich auch den Säuglingsschwestern beigebracht, dass ein Kind nur alle vier Stunden aufzunehmen sei und dass Schreien die Lungen stärke. Hannahs Lungen wurden so was von stark in den kommenden Wochen und im Übrigen lernte sie schnell, dass ihr nichts anderes übrig bleiben würde, als sich erst einmal an alles zu gewöhnen – auch an die Stimme.


Größer, dicker, klüger

Hannah wuchs und nahm zu. An Zentimetern und Erkenntnis, an Pfunden und Erfahrung. Die winzige Wohnung, in der sie mit ihren Eltern lebte, befand sich, recht grün gelegen, in einer ruhigen Siedlungsstraße in Essen-Heisingen, nicht weit entfernt von der Ruhr. Eine Küche besaß die Wohnung nicht – nur ein einziges Zimmer zum Wohnen und Schlafen. Dazu ein Bad. Papa besaß eine gewisse Begabung darin, aus so mancher Not eine Tugend zu machen. Er legte ein Brett über die Wanne, auf das er einen Kocher stellte, der zu entfernen war, wenn jemand baden wollte. Mutti taufte den Raum Speise-Bade-Klo. Und sie lachte und verdrängte die Tatsache, dass sie schon sehr gern eine schöne, große Küche gehabt hätte, behaglich, mit Tisch und Stühlen.
Gebadet wurde am Samstag. Zuerst Mutti, dann – im selben Badewasser – Papa, für den heißes Wasser aus dem inzwischen wieder aufgeheizten Boiler zugegeben wurde. Hannah wurde offenbar für schmutziger gehalten, denn sie wurde täglich in der Zinkbadewanne gesäubert, die auf einem stabilen Schemel gleich neben der Wanne stand.

Papa war kein Mönch und so sah er Mutti ausgesprochen gern an, wenn sie rosig und sauber der Wanne entstieg. Ihre Brüste hätten sogar Sophia Loren Ehre gemacht. Doch es war eine prüde Zeit und so verschwand die Pracht schnell hinterm Badetuch. Stillen konnte Mutti nicht mit dem Hammerbusen. Papa erklärte das damit, dass seine Frau eben eine Fleischbrust und keine Stillbrust besitze, was ihm persönlich durchaus genügte. Für Hannah wurden ersatzweise Glasflaschen mit Gummischnullern angeschafft. Mutti, von Natur aus eher ungeduldig, erweiterte die Sauglöcher schon nach dem ersten allzu langwierigen Versuch mit einer in einer Kerzenflamme erhitzten Stopfnadel. Mit Erfolg. Hannah zog durch und im Nu war die Flasche leer. Windelwechsel und ab zurück in den ausgepolsterten Wäschekorb.

Mit etwa einem Jahr begann Hannah, zu sprechen und erste o-beinige Schritte zu machen. Noch leicht torkelnd erkundete sie das verflixt enge Zimmer, das Speise-Bade-Klo und die Welt da draußen – soweit erlaubt. Sie eierte an den Händen ihrer Eltern über den Bürgersteig, fiel mit dem Gesicht in den Schnee, prustete und brüllte, schüttelte sich und tapste, nach einer kurzen Erholungsphase auf Papas Arm, neugierig weiter. Sie fasste alles an und steckte fast alles in den Mund. Womit die Ära der Verbote und Einschränkungen begann. Schnee zu essen war schon mal verboten. Viel zu kalt für den kleinen Bauch. Auch vieles andere galt als „Pfui ba“ und war möglichst umgehend wieder auszuspucken oder loszulassen.

Axi, der Wolfsspitz, der den Familienzuwachs nach Muttis Rückkehr aus dem Krankenhaus mit leisem Knurren und mit einem Blick, der nichts Gutes verhieß, kommentiert hatte, wurde schweren Herzens bereits eine Woche nach Hannahs Einzug wieder abgeschafft. 

„Es muss wohl sein“, sagten Mutti und Papa. 

Das kleine Mädchen behielten sie mit Freuden, die kleine Wohnung allerdings nicht. Kurz nachdem Hannah ihren ersten Geburtstag gefeiert hatte und Mutti erneut schwanger geworden war, machte Papa eine Eingabe bei der Stadt. In der Wiesenstraße 42, in einem Sechsparteinhaus in einem ruhigen Wohnblock in der Nähe des Essener Hauptbahnhofs, fand er eine Zweizimmerwohnung. Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Diele, Bad. Papa war höchst erleichtert und für den Moment schwebte auch Mutti vor Glück. Man stelle sich vor: Fünf Zimmer und fünfundfünfzig Quadratmeter. Eine wahre Villa. Ein Traum!
Im Übrigen deckten Muttis Träume sich in dieser Zeit ein wenig mit der Kinowerbung: Es gab in ihnen einen treusorgenden Vater, der ausreichend Geld hereinbrachte, die ihn lächelnd unterstützende Ehefrau, die in gestärkter Schürze alles hübsch adrett hielt, und zwei bis drei wohlerzogene Kinder, die den beiden alle Ehre machten. Dass es in ihrem Fall noch ein weiteres Familienmitglied gab, unbekannt und noch ohne Namen, dafür in der Lage, ihr liebes, kleines Töchterchen zu beunruhigen und unangenehm aufzustacheln, war ihr nicht bekannt. Aber sie würde es zu spüren bekommen, mit den Jahren.
...

 

 Rosa - eine Farbe und der Name einer ganz bestimmten Maus ...

 

Nun meine Fragen an euch:

  1. Wirkt der Text sprunghaft oder findet ihr euch zurecht?
  2. Fehlen euch Informationen?
  3. Vor allem aber: Ist die Idee mit der Stimme - Hannah wird sie sich bald als rosa-grün gepunktete Maus auf ihrer Schulter vorstellen und ihr den Namen Rosa geben - albern oder überflüssig? Gedacht ist sie für Hannahs inneren Monolog. Rosas Rolle wird es sein, die allzu stille und ängstliche Hannah, die von einer mindestens ebenso ängstlichen Mutter erzogen wird, immer wieder mal in den Hintern zu treten, um ihr Mut zu machen, sie gelegentlich aber auch zu trösten. Rosa ist Hannahs Alter Ego. - Macht das Sinn oder findet ihr das eher verwirrend?

Und nun, dieses Mal erst zum Schluss, noch eine Klinzigkeit Theorie:

Beim Creative Writing gibt es eine Vielzahl von Gesetzmäßigkeiten, gegen die der angehende Autor sich zunächst wehren mag, die aber durchaus ihren Sinn haben. Eine davon heißt recht brutal "Kill your darlings". Das bedeutet, dass es sich oft nicht vermeiden lässt, gerade die Formulierungen oder auch Ideen oder gar ganze Handlungsstränge zu Gunsten einer gelingenden Dramaturgie wieder fallen lassen muss, die einem im ersten Moment so ausnehmend gut gefielen. Bei der "Stimme" war das der Fall. Für lange Zeit fand ich sie erfrischend während des Schreibprozesses. Zu unrecht? Ist Rosa so ein Darling. Was meint ihr?

Danke für eure Unterstützung und bis morgen. Ich freu mich auf euch!

*

P. S. Besonders aufmerksamen LeserInnen wird nicht entgangen sein, dass der kurze Satz "Unsere kleine Hannah." gestern schon einmal vorkam. Gut aufgepasst! Ich musste ihn verschieben, denn während ich Buchabschnitte hier für euch poste, fallen mir gleich und mal wieder Dinge auf, die im bisherigen Manuskript noch nicht logisch oder in der richtigen Reihenfolge waren. Nebenher verstehe ich immer besser, warum selbst berühmte Schriftsteller in der Regel mindestens ein Jahr brauchen, um ihr nächstes Werk in die Öffentlichkeit zu entlassen. Und dass man manchmal das Gefühl hat, es sei - nach dem ersten Bestseller - vielleicht doch ein bisschen zu schnell gewesen ...

Bis bald sagt Eure

Sigrid Ruth


4 Kommentare:

  1. Jeannette:
    Die Idee mit Rosa ist doch überhaupt nicht abwegig. Viele Kinder im magischen Alter haben doch einen Phantasiefreund bzw. Freundin. Ein Wesen, das ihnen seelisch hilft in ihrem Leben. Wahrscheinlich sind es besonders Phantasievolle Kinder, die so eine Stütze haben.
    Ich bin wirklich gespannt, was Rosa mit Hannah so alles anstellt😊

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    1. Das hört sich gut an, liebe Jeannette. Die Frage ist nur, wie lange Rosa Hannah begleiten sollte. Bis Hannah Oma ist?

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    2. Jeannette
      Nein, das nun nicht 😁
      Rosa sollte eine Begleiterin im Kindheitsalter sein. Später muss man schauen, wie man klar kommt. Vielleicht mit anderen Menschen und Möglichkeiten 😊

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  2. Liebe Sigrid, an dieser Stelle habe ich Rosa noch nicht "gehört", aber ich bin neugierig, wie sie Hannah beeinflussen wird. Ich selbst war mir meiner inneren Stimme als Kind nicht bewusst. LG Susanne

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