Moin, meine lieben Schreiber- und Leserlinge!
Das norddeutsch-trocken-herzige "Moin", das man hier zu jeder Tages- und Nachtzeit sagt, ist so herrlich kurz und prägnant. Als 2001 zugezogenes Nordlicht habe ich das "Tach auch!" meiner alten Kohlenpott-Heimat darüber fast vergessen. Apropos kurz. Wie schreibt man kurz und knackig über ein langes Leben? Und soll oder kann man das überhaupt?
Anno 2007, zu meiner Anfangszeit als Schreiberin bei den Online-Plattformen Suite 101 und Ratschlag24, inzwischen beide in der Versenkung verschwunden, lernte, mich auf eher kurze Texte zu beschränken. Als ich wenig später als freie Journalistin in der Lokalpresse Fuß fasste, wurde es zur Selbstverständlichkeit, eine gewissen Zeichenzahl bei meinen Artikeln nicht zu überschreiten. Wie bedauerlich! In meinen Interviews erfuhr ich so viel von den netten, interessanten Menschen, mit denen ich zu tun hatte, dass ich gern jeweils einen halben Roman darüber verfasst hätte. Ging aber nicht. "In der Kürze liegt die Würze!", mahnte meine zuständige Redakteurin, bis ich es begriffen hatte. "Jedes Wort zu viel muss weg!" Als ich mich an Literaturwettbewerben heranwagte, kam die nächste Challenge: Wie sollte ich auf 10.000 Zeichen kommen, wenn meine fertige Geschichte nun mal 18.792 hatte. Was für eine Zuuumutung ...! Aber ich musste. Das Kürzen dauerte länger als das Schreiben, doch der Text war danach zwar deutlich kürzer, aber auch um Längen besser. Ich war positiv überrascht. Und lernte dazu und dazu.
Knackig kurze Texte schienen schon einmal etwas Gutes zu sein. Ich verdiente Geld damit und erfuhr, dass die Leserschaft meine Geschichten liebte. Beides freute mich sehr. Doch die ehrgeizige Herausforderung blieb, endlich mit einem längeren Text Leser und vor allem Leserinnen zu beglücken. Ich tippte mir die Finger wund. Mehrere angefangene Romane fanden den Weg in Ordner und Schubladen. Ich legte jedes Mal voller Euphorie los, verlor mit der Zeit ein wenig meine Motivation, ging in leichte Verzweiflung über und schmiss das Manuskript irgendwann frustriert in die Ecke. Dort ließ ich es gründlich abhängen beziehungsweise plattliegen und las mit gebührendem zeitlichem Abstand wieder hinein. Nur um festzustellen: Das bin ja ich. In jeder ausgedachten Geschichte geht es im Grunde immer wieder um mich. Klarer Fall von Narzismus? Oder die normalen Erfahrungen einer Anfängerin?
Ich grübelte und kam zu der Einsicht: Sigrid, meine Liebe, du musst dich erstmal freischreiben. Du musst deine eigenen Erlebnisse schreibend verarbeiten, um frei zu werden für Fiktives. Gesagt, getan. Ich begann damit, meine Lebensgeschichte, heutzutage elegant Memoir genannt, aufzuschreiben. Wie ich das machte, davon soll in diesem Blog später noch die Rede sein. Jedenfalls machte die Sache mir einen Riesenspaß. Ich schrieb und schrieb und schrieb ...
Heraus kamen rund 1.200 Seiten. Grrrrmmmpfff!, dachte ich. Mächtig viel Holz! Wer soll das lesen? Dann fiel mir ein, dass Trilogien gerade durchaus erfolgreich waren. Bestimmt war es Schicksal, dass ich just einen der Wälzer von Carmen Korn am Wickel hatte: "Töchter einer neuen Zeit". Da hat allein der erste von drei Bänden schon mehr als 550 Seiten. Und es wurden Bestseller daraus! - Grübel, grübel ...! Ja, was denn nun? Kurz oder lang? Oder einfach so, dass es zu mir passt? Das, was authentisch ist. Ich mag schließlich authentische Menschen. Warum sollte es meinen Lesern und Leserinnen anders gehen?
Ich grübelte noch ein bisschen weiter und entschied mich dann dazu, zuerst die Langfassung zu Ende zu schreiben und zu polieren, NUR FÜR MICH. Das ist ungefährlich, dachte ich. Dabei kann ich niemandem auf den Schlips treten. Persönlichkeitsrechte können mich mal und es gibt keine Tabus. Es ist so, als würde ich mich meinem Tagebuch anvertrauen. Einem mit einem kleinen goldenen Schloss und winzigem Schlüssel, nur dass der Schlüssel in diesem Fall das Kennwort meines Computers ist. Wenn ich zufrieden bin, dachte ich, trage ich einen Stick in den Copyshop und lasse drei Bände ausdrucken und in Spiralbindung zusammenzurren, damit die einzelnen Blätter nicht vom Winde verweht werden können. Danach erst straffe und verfremde ich und mache eine Fassung für die Öffentlichkeit daraus.
Hhhmmmm...! Netter Gedanke, echt, aber noch nicht wirklich gut. Eher wie verhext. Irgendwie kam ich nicht zu Potte. Ich las Teile meines Werkes meinem Herzallerliebsten vor. Der fand vieles gut, hatte aber leider auch an anderen Stellen zu meckern. Das Vorlesen dauerte, das Verbessern auch. Bis ich auf diese Weise fertig werde, bin ich hundert, dachte ich. Und beschloss kurzerhand, gleich zur kürzeren(?) öffentlichen Fassung überzugehen und den Text leserfreundlich zu gestalten. Der Gott des Kürzens bezog Stellung über meinem Schreibtisch. Schließlich, flüsterte er mir ins Ohr, wird ihn oder sie ja nicht jeder Furz interessieren, der sich in deinen ersten, selbstverliebten Entwürfen entladen hat, oder? Jetzt heißt es: Straffen! Kürzen! Spannend machen ...!
Und wieder begann ein neuer Prozess.
Copyright Sigrid Ruth Stephenson Sehr oft schreibe ich meine Erinnerungen auf, aber manchmal greife ich stattdessen zum Zeichenstift.
Kürzlich nun der Tipp des von mir verehrten Autors und Verlegers Ruprecht Frieling, der mir riet, unbedingt weiter meinem Stern zu folgen und parallel zum Schreiben meiner Biografie einen Blog zu machen. Und den lest ihr nun. Erste begeisterte Rückmeldungen auf verschiedenen Kanälen zeigen mir, dass das, was ich hier begonnen habe, den Menschen gefällt, sie inspiriert. Wie schön! Was für eine spannende Reise ...! Für mich, für euch. Wie wäre es, wenn ihr schon mal anfangen würdet, ganz spielerisch, an eurer eigenen, wunderbar einzigartigen Biografie zu schreiben? NUR FÜR EUCH!
Zum Schluss für heute - das soll gute Tradition werden - ein neuer Abschnitt aus meiner Biografie:
Sommer 1954. Vier Jahre nach ihrer Hochzeit spürte die temperamentvolle, pummelige Margarete Helene, Margrit genannt, ihren Eisprung nahen und gab sich leidenschaftlich dem ruhigen, geduldigen Bernhard hin. Der war ihr Mann und die beiden liebten einander von Herzen. Leider konnte er sie nur mit einem Auge sehen, weil eines tragischen Tages die Glühbirne über dem Küchentisch, auf dem er als Säugling gewickelt worden war, platzte. Dass sein rechtes Auge seitdem noch immer blau, das linke aber rot-grün-marmoriert war, machte Margrits Liebe zu ihm nicht kleiner. Er hielt zu ihr, das zählte. Er sorgte dafür, dass sie immer noch und trotz allem lachen konnte und nicht länger so furchtbar einsam war. Nachdem Margrit schon als Mädchen ihren Bruder und ihren Vater an die Tuberkulose und schließlich ihre Mutter an den Krieg verloren hatte, war sie unendlich froh gewesen, Bernhard gefunden zu haben. Es war mit Hilfe einer Kontaktanzeige gelungen, was natürlich niemand wissen durfte. Nun plante Margrit, das Glück an der Seite ihres Mannes auf die Weise zu krönen, die der liebe Gott vorgesehen hatte und von der, wenn es erst einmal so weit wäre, jeder erfahren würde. Bernhard war einverstanden. Dabei träumte er eigentlich eher vom Rückzug in einen stillen Schrebergarten als vor neuen mitmenschlichen Herausforderungen. Gewöhnlich fühlte er sich tief erschöpft, wenn er abends endlich aus dem Büro der kleinen Turngerätefabrik heimkam, in der er als Mann für alles regelmäßig Überstunden machen musste. Nebenher schlichtete er so manchen Streit unter den Mitarbeitern. Unfrieden hielt er nun mal nicht aus. Friede, Freude, Eierkuchen – mit dieser Devise glaubte er gut zu fahren. Und so fügte er sich gern und in allem dem Willen seiner Frau, auch an diesem Abend. Bernhard gab alles. Er machte seine Sache gut. Die nächste Regel blieb aus. Margrit wartete noch ein Weilchen und ging dann zum Arzt. Der nicht mehr ganz junge Mediziner tätschelte ihr nach der Untersuchung mit dem angewinkelten Knöchel seines rechten Zeigefingers die Wange und lächelte warm. „Sie sind in gesegneten Umständen, Frau Braun. Gratuliere.“
„Sind Sie sicher?“
„Aber ja.“
Oh, was für ein Glück! Seit neun Jahren lebte Deutschland nun im Frieden, die Wirtschaft befand sich im Aufschwung, der Wohlstand stieg und nun das. Hoffnung. Zukunft. Ein Kind. Wie wunderbar ...!
Morgen geht's weiter. Genießt den Tag und schreibt mal ein bisschen ...!
Bis bald sagt Eure
Es freut mich dass du meiner Anregung mit dem Blog gefolgt bist. Auf diese Weise kommst du schnell zu einem Ergebnis. Manchmal muss man sich selbst Druck machen, und dann läuft alles wie von selbst.
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