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Mittwoch, 26. Mai 2021

Begabungen leben - Existenzgründung als Schreiberin

Moin, meine lieben Schreiber- und Leserlinge!

Begabungen werden uns mitgegeben. Wir brauchen nichts dazu tun - sie sind einfach da. Blöd nur, wenn man sie nicht nutzt. Nicht bewusst wahrnimmt. Bei mir war das so. Über viele Jahre habe ich nicht genug von mir gehalten, um das aus meinem Leben zu machen, was mir wirklich entsprach. Ich kannte mich selbst zu wenig. Ich nahm mich nicht ernst genug. Die entscheidende Wende kam, als mir in der ergotherapeutischen Praxis, der ich damals angehörte, bei einer Teamsitzung die Hutschnur riss. Ich fühlte mich von meiner Chefin absolut unfair behandelt und warf ihr sozusagen die Klamotten vor die Füße. Es reichte mir, so still und geduldig ich auch sein konnte. "Wollen Sie mir kündigen oder soll ich kündigen?", fragte ich, aus einem Impuls heraus, ohne nachzudenken. Die Reaktion der Chefin war wenig amused und wie ich die Teamsitzung zu Ende brachte, ohne loszuheulen, weiß ich nicht mehr so recht. Ich fühlte mich hochgradig gestresst, bewahrte aber nach außen hin die Ruhe. Zum Glück hatte ich an diesem Tag keine Patiententermine mehr und war nur wegen der wöchentlichen Sitzung zur Arbeit erschienen. Erstaunt, ja fast entsetzt über mich selbst und zugleich erfüllt von ungewisser Vorfreude setzte ich mich ins Auto und fuhr los. Was würde mein Mann bloß sagen? Wie würde es beruflich mit mir weitergehen? Ich war doch wahrhaftig keine zwanzig mehr ...! An der nächsten roten Ampel zitterten meine Knie derart, dass ich die Füße kaum ruhig genug auf Kupplung und Bremspedal halten konnte. Und doch spürte ich: Du machst das genau richtig, meine Liebe! Die Zeit ist gekommen. Du musst endlich tun, was dir selbst entspricht. Das Leben wartet nicht.

Am nächsten Tag saß ich im Sprechzimmer meines Hausarztes, der mich Sensibelchen gut kannte und mich erst einmal krankschrieb. Wenig später flatterte mir die fristlose Kündigung ins Haus. Zehn Tage später saß ich der Beraterin der Arbeitsagentur gegenüber und schilderte ihr, was geschehen war. Ich hatte Glück. Obwohl ich meine Kündigung selbst provoziert hatte, hatte sie Verständnis und sperrte mich nicht. Ich würde Arbeitslosengeld bekommen und erhielt die Weisung, mich um einen neuen Job zu bemühen - was ich mehr als halbherzig tat. Die Ergotherapie war einfach nichts für mich, ebenso wenig wie mein erster Beruf als Sekretärin es gewesen war, in den mich meinen Mutter gedrängt hatte. Die Konfrontation mit häufig schwer kranken Menschen im 30- oder 45-Minuten-Takt überforderte mich auf der einen und unterforderte mich auf der anderen Seite. Ich brauchte etwas Schöngeistiges, etwas Künstlerisches, etwas ganz Eigenes. 

Zu meiner großen Freude dauerte es nicht lang, bis die Beraterin mir anbot, ein zweiwöchiges Existenzgründerseminar zu besuchen.  Aufgeregt nahm ich die Einladung an. Das schien genau in die richtige Richtung zu gehen. Am nächsten Montag ging es los. Was für eine Erfahrung! Endlich durfte ich wieder die Schulbank drücken, etwas Neues lernen. Begeistert erlebte ich einen vielfältigen Unterricht, der Chancen statt Begrenzungen lehrte und mir Mut machte. Als Nächstes ging ich zur Organisation Frau & Beruf, um mir konkrete Unterstützung und Tipps zu holen. Die Beraterin war äußerst freundlich und zugewandt, doch ihr Resümee war ernüchternd: "Sie wollen schreiben und Kurse geben? Na ja, versuchen Sie es halt. Aber mehr als ein Taschengeld werden sie nicht damit verdienen, das sage ich Ihnen gleich." Wie sehr sie sich doch täuschte ...

Wie es mit mir als künftige Autorin weiterging, erfahrt ihr morgen. Wie es mit Hannah weiterging, erfahrt ihr jetzt: 

Krypta-Tanz und Damenwahl
Der Abend, dem Hannah entgegengefiebert hatte, war endlich gekommen. Das Wummern der Bässe dröhnte ihr und Bärbel schon von weitem entgegen. Die Eingangstür der Krypta stand offen. Das Kellergewölbe unter der ehrwürdigen St.-Paulus-Kirche war in schummeriges Licht getaucht und mit abgenutzten Tischen und Stühlen möbliert. Ein Typ am Eingang drückte den Mädchen einen Stempel als Eintrittskarte auf die Hand. Nervös trat Hannah ein und blickte sich um. Eine mit winzigen Spiegeln besetzte Kugel drehte sich an der Decke und verwandelte das Licht der roten und gelben Scheinwerfer in Hunderte bunter Flecken, die durch den Raum geisterten. In den Aschenbechern qualmten die Zigaretten. Der Anblick im Halbdunkel wogender Gesichter und Körper faszinierte sie und machte ihr zugleich Angst. Aus den Lautsprechern dröhnte Black magic woman von Santana. Doch was gefühlt noch heftiger dröhnte, das war der Schlag ihres Herzens.


"Da vorn ist ein freier Tisch", sagte Bärbel. Die Musik im Raum war so laut, dass man einander direkt ins Ohr rufen musste, um sich zu verständigen. Was für eine aufregende neue Welt! Hannah hatte schweißnasse Hände. Sie war unsicher und doch voller Hoffnung. Daheim hatte sie den Spiegel befragt und sich so hässlich auch wieder nicht gefunden. Vielleicht würde sich unter all diesen Jungen hier doch einer für sie interessieren. Alles in ihr vibrierte ...!
Bärbel saß noch nicht ganz, da wurde sie auch schon aufgefordert. Von da an war sie fast ständig auf der Tanzfläche. Hannah verstand das durchaus. Bärbel war hübsch, sie war zierlich, sie war blond. Sie selbst aber saß auf ihrem Stuhl herum, als habe jemand die Sitzfläche mit Pattex bestrichen. Niemand erbarmte sich ihrer und forderte sie auf. Wieso nicht auch mich?!, dachte sie zunehmend verzweifelt und desillusioniert. War sie etwa doch hässlich? Hatte sie eine Riesenwarze auf der Nase? Trug sie ein Schild „Achtung, bissig!“ um den Hals?

                                            In aller Unschuld und voller Sehnsucht nach Liebe ...

Mauerblümchen. Das Wort schien in Flammenschrift an der Wand zu stehen. Da wartete der Diskjockey mit einer Chance auf. „Damenwahl ...!!“, rief er und sah erwartungsfroh in die Runde.
Hannahs Kopf wurde, das wusste sie auch ohne Spiegel, tomatenrot. Während sie noch ihre Angst zu zügeln suchte, stürzten sich die selbstbewussten, nach Muttis Einschätzung sicher eher leichtlebigen Mädchen in Nullkommanix auf die langhaarigen Knaben, die, Desinteresse heuchelnd, auf ihren Stühlen herumlungerten. Die mit den Goldkettchen im Hemdausschnitt gefielen Hannah am besten, auch wenn sie Muttis mahnende Stimme in sich hörte: „So sieht ein Gigolo aus. Ein anständiger junger Mann wirkt seriös.“. Dass sie genau diese abenteuerlich wirkenden Typen sexy fand, wäre Hannah damals noch nicht in den Sinn gekommen. Das Wort gehörte nicht zu ihrem Wortschatz. Dass sie im Ernstfall wohl keinen von ihnen hätte heiraten wollen, bedachte sie ebenso wenig. Sie war nur im Moment. Genau jetzt wäre ihre Chance gewesen, mit einem von ihnen zu tanzen, aber ... Die Paare tanzten längst und Hannah saß noch immer da, zaudernd und untätig. Sie ließ die Blicke schweifen und auf die wenigen fallen, die übrig geblieben waren. Sollte sie vielleicht einen von ihnen ...? Wer weiß, vielleicht hatten sie ja innere Werte ...

Vorbei! Die letzten Töne verklangen und der Discjockey gab die Jagd wieder frei für das männliche Geschlecht. Same procedure ... Mädchen saßen wartend. Jungen kamen oder auch nicht. Als sei nichts selbstverständlicher, suchten sich die Schönlinge die hübschesten Mädchen aus, schwangen rhythmisch die Hüften oder tanzten engumschlungen, den Angebeteten Worte ins Ohr flüsternd, von denen Hannah annahm, dass sie sehr romantisch sein müssten.
Zu Tode betrübt sah sie über den Rand ihres Colaglases hinweg, dessen Inhalt von den sich auflösenden Eiswürfeln verwässert wurde, auf die jungen Menschen um sich herum. Bärbel tanzte wieder einmal mit einem Tanzpartner, der Hannah nur bis zur Nase gereicht hätte. Warum war sie auch nur so groß? Schon 1,68 m und vermutlich war das Ende der Fahnenstange noch gar nicht erreicht. Sie fühlte sich blöd und kämpfte zunehmend mit der Schwerkraft ihrer Mundwinkel, bis ihr Lächeln so eingefroren war, dass sie beinahe einen Krampf im Gesicht bekam.
Dann veränderte sich das Licht. „Und hier kommt für euch Peter Maffay mit Du!“, schmachtete der Diskjockey ins Mikro. Oh nein! Auch das noch. Da saß sie unbeachtet auf ihrem Holzstuhl, den Mund voller Ergriffenheit und Sehnsucht leicht geöffnet, den Blick auf die Tanzenden gerichtet, und der rumänische Muttermal-Peter berührte die Tiefen ihrer Seele. Sie wünschte sich so sehr, er sänge nur für sie. Sie lauschte ergriffen und wiegte sich in Gedanken in seinen Armen. „Du bist alles, was ich habe auf der Welt“ röhrte er, „du bist alles, was ich bi-hi-hin ...!“ Seine so ehrlich klingende Stimme jagte ihr Schauer über den Körper und sie war überzeugt, dass gerade sie in Wirklichkeit die Eine war, die ihn verstehen würde, so wie das Lied es wollte. Bis ihr in einem lichten Moment und allzu bald klar wurde, dass Peter Maffay als Schlagerstar für sie völlig unerreichbar war. Schmachtend beobachtete sie streichelnde Jungenhände auf Mädchenrücken und Mädchenhintern, erahnte kreisende Zungen und wünschte sich so sehr, dasselbe zu erleben. Es musste ja gar nicht Peter Maffay sein ...!
Da geschah ein Wunder: Ein Junge kam offensichtlich genau auf sie zu. Ob er wohl schielte? Sie sah näher hin. Der dickliche Typ mit den maisgelben Haaren gefiel ihr so gar nicht. Sei’s drum. Viel wichtiger war doch, dass überhaupt einer auf sie zukam. Sie setzte ein freundliches Gesicht auf. Er stieß das Kinn in ihre Richtung und sie nahm an, dass das eine Aufforderung sein sollte. Allzu dankbar sprang sie auf. Es war ja gar nicht wichtig, ob er ihr gefiel. Hauptsache, sie musste nicht länger hier rum sitzen. Der Junge aber erblasste und Gedankenlesen war plötzlich ganz einfach: Verdammt, die ist ja viel größer als sie!!! Und schneller als gedacht, saß Hannah frustriert wieder an ihrem Platz – und der Junge an seinem.
Erst kurz bevor sie nach Hause musste, forderte sie ein zweiter Junge auf. Hannahs Hirn war leer vor Enttäuschung. Sie konnte nicht mehr lachen, nett oder charmant sein. Wortlos hopste sie zu Showaddywaddy’s "Under the moon of love" herum. Kein Funke sprang über. Und schon nach diesem einen Titel saß sie wieder auf der Blümchen-Mauer. Nix moon, nix love. Sie war nicht einmal fünfzehn, doch es schien klar zu sein: Wenn das so weiterging, würde sie unweigerlich eine alte Jungfrau werden.


(Auszug aus Band 1 "Hannah - Das Kind will nicht heiraten ...!"

Update ein Jahr später: Band 3 ist fast fertig. Und hier geht es zu Band 2 "Hannah - Ohne Mann ist auch echt blöd") . Viel Spaß beim Eintauchen in die ganz persönliche Welt einer Frau, die einfach nicht sein will wie andere.

Bis bald sagt eure

 Sigrid Ruth

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