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Freitag, 4. Juni 2021

Persönlichkeitsrechte und das Thema Verfremdung in der Autobiografie

Das Schreiberling-Thema heute: Verfremdung, Kunstfiguren und künstlerische Freiheit vs. Persönlichkeitsrechte. Das Leserling-Thema: Bei Hannah geht es um eine Kontaktanzeige, einen verhinderten Priester und die Liebe. 


Moin, meine lieben Schreiber- und Leserlinge!

Wenn jemand seine eigene Geschichte mit anderen Menschen öffentlich teilen will, ist das künstlerische Freiheit und sein gutes Recht. Aber was macht man mit den anderen handelnden Personen, die ein Recht auf Schutz ihrer Persönlichkeit haben? Eine gute Lösung ist, ihnen entsprechende Textstellen zu zeigen und sie vor der Veröffentlichung der Autobiografie um schriftliche Genehmigung zu bitten. "Ist das so okay für dich?" Ist das nicht möglich, ist Verfremdung das Mittel der Wahl. Geht auf Nummer Sicher. Verwendet nicht nur einen anderen Namen, sondern ändert auch Beruf, familiäre Verhältnisse, Wohnort, äußere Merkmale. Gut ist es, eine lebensecht wirkende Kunstfigur zu ersinnen, die sich aus den Merkmalen mehrerer interessanter Menschen zusammensetzt. Krankheiten und sexuelle Intimitäten sollten bei einer erkennbaren Figur mit lebendem Vorbild kein Thema sein.

In entscheidenden Punkten muss die Figur allerdings schon ein bisschen so sein wie das Original, falls die Geschichte sonst nicht funktionieren kann. Der Protagonist, die Protagonistin der Biografie will ja darin "echt" sein dürfen. Da passt dann beispielsweise ein Chauvi als potenzieller Partner gar nicht, wenn die Ich-Erzählerin eher ein sanftes, tiefschürfendes Wesen ist. Wenn berühmte Persönlichkeiten ihre Autobiografie schreiben und von anderen VIPs darin erzählen, ist es einfacher. Die genießen als Personen von öffentlichem Interesse weniger Schutz. - Nicht einfach, die ganze Sache. Eine Gradwanderung. Eine Sache des Fingerspitzengefühls.

Dass man Menschen, über die man schreibt, nicht verunglimpft, versteht sich von selbst. Irgendwo las ich, man solle als BiografIn seinem inwischen ungeliebten Ex-Liebhaber in seinen Lebenserinnerungen ein bestes Stück verpassen, das peinlich klein geraten ist. Dieser Liebhaber werde sich niemals melden mit der Behauptung, er sei gemeint im Buch, aber falsch dargestellt worden. Ich musste schmunzeln dennoch, das wäre mir zu platt.

Zurück zu Hannahs Geschichte, die ihr hier - in Auszügen - nun schon seit vier Wochen verfolgen dürft. Wer jetzt noch einsteigen möchte, findet hier eine Zusammenfassung. Inzwischen ist Hannah sechzehn Jahre alt und auf der Suche nach der Liebe fürs Leben. Weil sie absolut keine Party-Maus ist, hat sie auf eine Annonce in der Westdeutschen Allgemeinen geantwortet. Was für eine aufregende, inspirierende Angelegenheit für ein Mädchen namens Hannah Ruth, dessen dritter und vierter Vorname Romantica und Fantasia sein könnten ...!

Los geht's:

 


                                                                                                            © Sigrid Ruth Stephenson

 Frühlingsliebe ...          

 

Der Mann zahlt ...!

Sein Name war Gerald. Noch bis vor kurzem hatte er katholischer Priester werden wollen. Hannah hatte sich in der Gruga mit ihm verabredet, dem wunderbaren Essener Park mit Tropenhaus, Cafés, Schwimmbad, Spielplätzen, Schlittschuhbahn, Liegesesseln und der bei Groß und Klein beliebten Grugabahn, die sich wie eine freundliche, dicke Raupe zwischen Büschen und Blumenbeeten hindurch schlängelte.
Er fand für sie beide einen freien Tisch in der Zornigen Ameise und sie bestellten  gedeckten Apfelkuchen mit Sahne und Bohnenkaffee. Gerald war blass vor Aufregung. Hannah war gerührt von dem scheuen Blick, mit dem er sie durch seine runde Nickelbrille betrachtete. Dass er fünf Jahre älter war als sie, spürte man nicht. Mit zitternden Fingern spielte er mit einem Bierdeckel. Endlich wurde der Kuchen serviert und Gerald schien erleichtert zu sein, zur Gabel greifen und seinen Fingern Beschäftigung geben zu können. Er krempelte die Hemdsärmel auf und sie sah seine sehnigen Unterarme. Seine körperliche Kraft schien seine Schüchternheit Lügen zu strafen. Ob er sie auf seinen Händen würde tragen können, wenn es darauf ankäme? Unsinn, dachte sie, ich weiß ja nicht einmal, ob ich ihm gefalle. Und ob ich ihn mag. 

Nachdenklich blickte sie ihm nach, als er aufstand, um zur Toilette zu gehen. Er hätte ruhig ein wenig größer sein dürfen. In seiner gerade geschnittenen, olivefarbenen Cordhose und dem langärmeligen Hemd dazu sah er gediegen und ordentlich aus, aber leider kein bisschen aufregend. Sie dachte an die exotischen Typen, mit denen einige ihrer Klassenkameradinnen ein Jahr zuvor in Kopenhagen geflirtet hatten. Wie gern wäre sie von einem dieser Dunkelhäutigen geküsst worden mit den geheimnisvoll wirkenden dunklen Augen. Doch Gerald war schlank, hatte ein schönes Lachen, das seine blauen Augen zum Blitzen brachte, und dichtes blondes Haar.  Am Abendgymnasium, das er besuchte, lernte er Latein und Griechisch. Besonders das gefiel ihr. Sie dachte daran, wie ihr Bruder Harald ihr verboten hatte, sein Lateinbuch zu benutzen, um im Stillen mitzulernen. Es müsste wunderbar sein, die alten Sprachen zu verstehen.

In ihrer Handtasche hatte Hannah Geralds zwei Seiten langen Brief, geschrieben mit Füllfederhalter, in schwungvollen Schriftzügen. Sie kannte den Inhalt auswendig. Nach der Mittleren Reife hatte er eine Schneiderlehre gemacht. Sein Vater hatte sehr gehofft, dass sein Sohn als sein einziges Kind eines Tages seine Maßschneiderei übernehmen würde, und solange Gerald noch nicht volljährig war, hatte er das Sagen gehabt. Nun aber war Gerald einundzwanzig. Er würde in der Lage sein, der Frau seines Herzens jedes Kleid zu schneidern, das sie haben wollte. Sein Lehrherr war hochzufrieden mit ihm gewesen, denn Gerald konnte schnell wie ein D-Zug maßnehmen, zuschneiden, akkurat nähen und ein schickes Damenkostüm ebenso mühelos schneidern wie einen dreiteiligen Herrenanzug. Nun aber war er dabei, seinen eigenen Träumen zu folgen. Sein Glaube war ihm wichtiger als Haute Couture und Priester hatte er schon immer bewundert. So hatte er begonnen, an einem bischöflichen Abendgymnasium im Rheinland das Abitur nachzuholen, an dem man sehr daran interessiert war, dass die Schüler die Hochschulreife nutzen würden, um Priester zu werden. Bei Gerald allerdings würde das nun doch nichts werden. Inzwischen hatte er festgestellt, dass er sich viel zu sehr nach der Liebe eines Mädchens sehnte, um das Zölibat für sich annehmen zu können. Er war ein guter Schüler. Mit der Hochschulreife würde ihm jedes Studium offenstehen. Er liebte Kinder und er würde in der Lage sein, einen Beruf zu ergreifen, mit dem sich eine Familie ernähren ließe. Also hatte er bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung eine schlichte, kleine Kontaktanzeige aufgegeben, die Hannah angesprochen hatte.

Gerald kam zurück. Sie sah auf seine Hände, mit denen er den leeren Kuchenteller zurechtrückte und mit der Serviette hantierte. Hände, die Klavier spielen konnten. Hände, die sicher auch streicheln konnten. Ein Kribbeln jagte über ihre Haut.

"Ich liebe Klaviermusik", sagte Hannah. "Ich hätte wirklich gern Unterricht genommen, aber wir haben keinen Platz für ein Klavier." Sie hoffte, er würde sagen, dass sie demnächst auf seinem Piano würde spielen dürfen, doch er ging nicht weiter darauf ein. Sicher wollte er nicht voreilig sein. Es fiel ihr leicht, ihn vor ihrer eigenen Kritik in Schutz zu nehmen. Er war ein ernsthafter und anständiger Mensch, das sah sie gleich.
Sie plauderten über dies und das. Seine Stimme klang warm. Er war klug. Was er sagte, hatte Hand und Fuß. Wenn er nur nicht so scheu gewesen wäre. Hannah, die wusste, dass sie als Mädchen sich ihm keinesfalls an den Hals werfen durfte, versuchte immer wieder, die zwischendurch eintretende Stille mit lockeren Worten und einem kleinen Lachen zu überwinden. Anstrengend war das. Nach einer guten Stunde war Gerald immerhin so weit aufgetaut, dass er sogar einen Witz erzählte. Ausgerechnet einen Priesterwitz. Erneutes Schweigen. "Möchten Sie, also, eh, möchten Sie noch etwas trinken?" Die Frage schien ihn Überwindung zu kosten. Hannah sah ihn an. Er wirkte seltsam erschöpft. "Nein, danke", sagte sie. Und er rief, erleichtert wirkend, nach der Kellnerin.  

Hannah war verunsichert. Hatte sie sich getäuscht. Gefiel sie ihm etwa doch nicht? Fühlte er sich nicht wohl in ihrer Nähe? Gerade jetzt, wo sie begonnen hatte, sich ernsthaft vorzustellen, ihn näher kenenzulernen. Sie sah zu, wie er umständlich sein Portemonnaie zückte und für beide zahlte. Es war ihr unangenehm, obwohl sie wusste, dass es sich so gehörte: Der Herr zahlte. Die Dame bedankte sich,  kurz und freundlich, mit einem kleinen königlichen Lächeln, das ihn ihre Huld spüren ließ. Ihm zeigte, dass sie es wert war. Dass er sein Geld nicht verschwendete. 

Sie hatten drinnen gesessen. Nun überschüttete die Sonne sie mit ihrem goldenen Schein. Kaiserwetter. Zwischen blühenden Tulpen- und Hyazinthenbeeten spazierte Hannah neben Gerald durch den Park zum Ausgang zurück. Alles hätte so romantisch sein können. Vergeblich hoffte sie, er könnte nach ihrer Hand greifen. Sie zog die linke Schulter ein wenig nach unten, um ihm nicht das unangenehme Gefühl zu geben, zu klein für sie zu sein. An seiner Seite würde sie nur flache Schuhe tragen können, soviel stand fest. Aber an seiner Seite ...?

...

Mehr gibt's schon bald im E-Book. :-)


Bis bald sagt Eure

Sigrid Ruth

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