Moin, meine lieben Schreiber- und Leserlinge!
Man kann gar nicht oft genug betonen, wie wichtig es ist, beim autobiografischen Schreiben offen und ehrlich, also authentisch zu sein. Der Leser spürt so was. Er will Echtes. Nicht umsonst sind Selbsterfahrungsberichte beliebt. Als ich noch jung war, las ich mit Begeisterung Publikationen wie "Meine wahre Geschichte", obwohl die bestimmt erfunden waren. Aber sie hätten wahr sein können - und sie rissen mich mit. Bis ich zu kritisch wurde und mir Echtes wünschte, was auch wahr war - um daraus lernen zu können.
Was meine eigene Geschichte - und damit Hannahs Geschichte - angeht (inzwischen als "Hannah - Das Kind will nicht heiraten ...!" * erschienen), so sehe ich während des Schreibprozesses immer wieder tief in mich hinein. Was war damals wirklich los? Was habe ich gefühlt? Wenn ich schonungslos ehrlich bin ...?! Dabei komme ich bisweilen zu erstaunlichen Erkenntnissen. Schon strange, wie gut man Manches verdrängen kann.
Meine Mutter war ihr Leben lang ängstlich. Das übertrug sie auf ihre Kinder - mit ständigen Warnungen, Ermahnungen, der Schilderung schlimmer denkbarer Folgen und Szenarien. Sie engte mich ein mit dieser Angst. Aber was noch schlimmer war: Sie übertrug ihre Furcht auf mich, pflanzte sie mir ein. Ich wollte sie nicht haben, aber sie war da. Es tut weh, da genauer hin zu tun. Aber wie sagte Viktor Frankl so schön: Lache deiner Angst ins Gesicht! Verdammt schwierig, so was. Aber ich wollte frei sei. Frei wie ein Schmetterling ...
Eine Fahrprüfung ist übrigens eine herrliche Gelegenheit, seine Angst, Unsicherheit und Nervosität zu spüren. Flatter, flatter ...! Mal sehen, wie das bei Hannah war:
Endlich achtzehn
Hannah wollte anders sein als ihre Mutter. Besser. Muttis allgegenwärtiger Angst wollte sie etwas entgegenzusetzen haben. Mutiger sein als sie. Deutlich mutiger. Und es ihr beweisen, dass sie es drauf hatte. Was eignete sich da besser, als sobald wie möglich den Führerschein zu machen, wohingegen Mutti schon auf dem Beifahrersitz einem Nervenzusammenbruch nahe war, wenn Papa schneller als sechzig fuhr.
Hannahs achtzehnter Geburtstag nahte und damit die Ahnung von der großen Freiheit, die ein eigener vierräderiger Untersatz ihr geben würde. Noch hatte sie keine Ahnung, ob und wie sie sich ein Auto würde leisten können, doch für den ersehnten Führerschein reichte ihr Erspartes. Und so meldete sie sich an. Obwohl sie selbst Angst hatte. Und gerade deshalb.
Hannah machte einen Erste-Hilfe-Kurs und die Anleiterin lobte ihre so besonders geschickten Hände, mit denen sie Verbände wickelte. Ganz kurz dachte Hannah an den königsblauen Strickteddy an der Volksschule, der ihr einfach nicht gelingen wollte, und Muttis entmutigendes Urteil: Du bist einfach zu ungeschickt, Hannah! Das Lob der Anleiterin hätte sie jetzt hören sollen – ha!
Wenig später begann die Fahrschule. Hannah büffelte mit Hingabe die Theorie und absolvierte mit leicht zitternden Knien die Praxis. Auf den Tage genau einen Monat nach ihrem 18. Geburtstag trat sie zur Prüfung an. Es war ein Wagnis. Nach gerade einmal elf Fahrstunden fuhr sie nicht gerade wie eine junge Göttin. Der Fahrlehrer hatte zu ein paar Stunden mehr geraten, doch Hannah hatte ihren eigenen Kopf. "Ich glaube, ich schaff das."
Die Sache wurde schwierig. Herr Adamek, der Fahrlehrer, hatte schon
den Fuß erhoben, um auf seiner Seite auf die Bremse zu treten, weil Hannah ein herannahendes Fahrzeug beim Linksabbiegen erst mächtig spät gesehen
hatte. Gerade noch rechtzeitig trat sie selbst auf die Bremse. Auch ihr Rückwärts-um-die-Kurve-Fahren war nicht unbedingt als
elegant zu bezeichnen. Schwitzend und zitternd saß sie danach im
Warteraum und harrte der Nachricht, dass auch sie, wie schon einige an
diesem Tag, durchgefallen war. Ihre Knie zitterten inzwischen so, dass sie sie festhalten musste. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt. So eine Blamage ...! Dann öffnete sich die Tür.
„Fräulein Braun?“
„Hier! Das bin ich.“
„Sie haben bestanden! Gerade so.“
Waaas??! – Oh mein Gott, sie hatte es geschafft!
„Sie
sind nur deshalb nicht durchgefallen, weil der Prüfer ja nicht alle
hatte durchfallen lassen können“, raunte der Fahrlehrer ihr wenig später
zu, „die Anderen waren noch schlechter ...!“
Hannah spürte, wie sie rot wurde. Sie war nicht gut genug. Eigentlich war sie nicht gut genug. Aber egal. Sie hatte es geschafft. Der graue Lappen war ihrer. Sie war ja so stolz, bei aller Scham. Sie hatte etwas errungen, was ihre Mutter niemals besitzen würde. Sie war eine mutige, moderne, junge Frau - und sie durfte ab sofort Auto fahren. Wohin sie wollte. Ganz allein ...!
Copyright Sigrid Ruth Stephenson
Frei sein wie ein Schmetterling ...
"Ihr müsst eure Gefühle zulassen, sie wirklich fühlen." Das sagt Peter Beer, dessen Achtsamkeitsacademy ich gerade besuche, immer wieder. Mit seinen geführten Meditationen hilft er mir immer mehr durch die noch verbliebene Angst. Das erfordert Mut. Ebenso wie die diversen Psychotherapien und psychosomatischen Rehas, die ich inzwischen hinter mir habe. Aber es hilft. Ich merke das immer mehr und immer wieder. Was nicht hilft, ist vor den eigenen Emotionen davonzulaufen.
Überlegt mal. Was macht euch Angst? Welche Gefühle könntet ihr euch einmal ganz bewusst angucken? Am besten macht ihr das, ein Blatt Papier vor euch auf dem Tisch, den Stift fest in der Hand. Aber wenn es ärger ist, sucht euch professionelle Hilfe. Weil ihr es euch wert seid ...!
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