Moin, meine lieben Schreiber- und Leserlinge!
Wenn ich mich mal zurückversetze in diese Jahrzehnte und mich frage, ob ich sie als gute, alte Zeit bezeichnen könnte, werde ich schon nachdenklich. Aus dem Bauch heraus würde die Antwort lauten: Ja. Unbedingt. Wenn ich es detaillierter mit heute vergleiche, denke ich immer noch ja, obwohl ich auf so manches nicht mehr verzichten möchte, was mein Leben heute reich macht. Also sage ich lieber aus vollem Herzen: Jein!
Ich leiste mir mal ein wenig kreative Unordnung und schreibe ungefiltert herunter, was mir einfällt, wenn ich an früher denke:
- Es gab viel mehr Schmetterlinge als heute und es gab nicht nur Kohlweißlinge, Zitronenfalter und Tagpfauenaugen.
- Ich habe noch Wackelpeter mit Vanillesoße aus der Tüte verspeist, ohne darüber nachzudenken, ob das nun gesund ist oder nicht.
- Der neue roter Roller unterm Weihnachtsbaum war pures Glück für mich und nicht nur eines unter unzähligen Geschenken. Vor allem, weil vorher das Christkind angerufen und mir mitgeteilt hatte, dass ich vermutlich nichts zu Weihnachten bekommen würde, weil ich nicht artig genug gewesen war.
- Ein neues Kärtchen mit Gummilitze ließ die nächste Runde Gummitwist wieder viel interessanter erscheinen und sorgte für zahlreiche unbeschwerte Stunden.
- Ich nähte für meine nachgemachte Barbie-Puppe ganze Kollektionen aus Stoffresten auf meiner Kindernähmaschine und war einfach nur happy.
- Ein neues Buch zum Geburtstag war etwas wirklich Besonderes zu einer Zeit, zu der ich noch von einer eigenen Bücherwand träumte, als sei so etwas nur für Königinnen gedacht.
- Ich kniete auf dem Boden im Gemeinderaum und wackelte rhythmisch mit dem Kopf, dass die Haare flogen, weil gerade mal wieder Kirchendisco war.
- Ich ging als Jungfrau in die Ehe, weil sich das so gehörte.
- Es gab immer zu wenig Taschengeld.
- Man trug Strumpfhosen im Häkellook und Astronautenmützen.
- Der Friseur verhalf mir zum angesagten Afrolook.
- Gestrickt wurde sogar im Hörsaal.
- Die RAF versetzte die Menschen in Angst und Schrecken.
- Sonntags gab es Rollbraten aus dem Römertopf.
- Der Vater meiner Kinder polierte stolz seinen nagelneuen Toyota Celica.
- Marianne Rosenberg sang: "Er gehört zu mir ...".
Copyright: Sigrid Ruth Stephenson
Bücher in jedem Raum und in jeder Ecke - als Kind nur ein Traum ...!
Bescheidene Freuden? Aus heutiger Sicht bestimmt. Wenn ich damals in die Zukunft hätte sehen können, hätte die Aussicht auf Überbevölkerung, Kreuzfahrschiffe vor Venedig, mehrere Flugzeuge zugleich am Abendhimmel über mir, Klimawandel, Brände, Überschwemmungen, Tsunami, reihenweise Mordopfern im Fernsehprogramm und erst recht auf Corona mich mächtig traurig gemacht. Aber dass es so etwas wie einen Computer für jedermann geben würde, Internet mit dem immensen, ständig verfügbaren Wissen dahinter, Spülmaschinen, die klaglos den Abwasch erledigen, Handys und Whatsapp, um sich ganz schnell mal mit den Freundinnen auszutauschen, eine wahnsinnige Vielfalt an Lebensmitteln, darunter köstliche, exotische Obstsorten, von denen ich einige nicht einmal vom Hörensagen kannte, dann hätte ich vermutlich gedacht: Das klingt aber spannend. Das klingt schön. Ich glaube, ich düse mal kurz in die Zukunft und schau mir das genauer an ...!
In "Hannah - Das Kind will nicht heiraten ...!"* habe ich viel von alten Zeiten geschrieben, ohne die neuen auszulassen. Er gehört zu mir ...? Wer das sein sollte auf Dauer, war eine schwierige, eine sehr schwierige Frage. Die gute(?) alte Zeit jedenfalls erwachte, während ich schrieb, zu völlig neuem Leben - deutlich spürbar, zum Anfassen nah - und es war einfach toll, mit meinem alter ego auf Reisen zu gehen. :-)
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