Moin, meine lieben Schreiber- und Leserlinge!
Hannah* war noch ein Kind, als sie an der Reihe war, das Kalenderblatt im Küchenkalender umzublättern. Gebannt blickte sie auf die blau-weiß-gestreifte Hängematte, die da zwischen zwei Palmen hing, an einem wunderbar weißen Sandstrand. Kein Mensch war zu sehen. Nur Himmel, Sand, Wasser und die Hängematte. Hannah hatte kurz die Luft angehalten und es im nächsten Moment einfach gewusst: Irgendwann in meinem Leben werde ich an genau so einem Strand sein. Zwischen solchen Palmen. Mit genau so einer Hängematte. Eine Vorstellung, die einer großen Illusion gleichkam, damals, als sie noch zu fünft in einer 50-Quadratmeter-Wohnung hausten und Hannah in der Küche schlafen musste. Als sie aber auf ihren sechzigsten Geburtstag zuging und die Verhältnisse sich gründlich gewandelt hatten, schien es nur allzu klar zu sein, dass solch ein Fest auch einer besonderen Reise bedurfte. In der Karibik, dachte sie, da gibt es solch einen wunderbaren Strand ganz bestimmt. Und sie tat alles, um Malte davon zu überzeugen, mit ihr diese Reise anlässlich ihres runden Geburtstages zu unternehmen. Letztlich stimmte er zu. Er buchte die Reise. Doch er kam einfach nicht mit ...
Für den Vormittag hatte Hannah eine Panoramafahrt gebucht. Sie musste früh aufstehen, um die Abfahrt nicht zu verpassen. Anna-Lena war bei einem anderen Ausflug unterwegs, hoch auf dem Rücken der Pferde. Hannah beneidete sie um ihre Sportlichkeit und ihren Mut. Und dann auch noch darum, dass unglaublicherweise dieser Sänger denselben Ausflug gebucht hatte. Durfte er das überhaupt, so mit Passagieren ...?
Die Fahrt, die Hannah gewählt hatte, erwies sich als anstrengend. Es war brütend heiß und all die touristischen Informationen, die Hannah zu hören bekam, mochte sie kaum aufnehmen. Früher hatte sie ständig fotografiert und sich Notizen gemacht, um Artikel für die beiden Internet-Foren daraus zu machen, bei denen sie sich erste Meriten als freie Journalistin verdient hatte. Doch die Goldgräberstimmung unter den Hobby-Autoren, die sich endlich gelesen und sogar honoriert sahen, war bald schon verflogen. Was soll ich jetzt noch mit all den Infos, fragte Hannah sich. Ist mein Kopf nicht so schon voll genug?
Als am Meer eine Pause eingelegt wurde, zu kurz, um in Ruhe baden gehen zu können, setzte Hannah sich am Strand in den Schatten einer Palme. Sie wäre gern lange dort sitzen geblieben, um einfach nur der Brandung zu lauschen, ohne einen Pulk von Menschen um sich herum und ohne die Uhr im Rücken. Sie blickte sich um. Nirgends war eine Hängematte zwischen Palmen zu sehen. Vielleicht ist es einfach ein Klischee, dachte sie, und das auf dem Kalenderblatt damals war eben ein gestelltes Foto. Ein wenig freute sie sich auf den Friedhof, der als Nächtes auf dem Programm stand. Sie hatte schon viele besichtigt. Friedhöfe waren für sie tatsächlich Orte des Friedens. Und Orte der Träume und Vorstellungen. Sie erinnerte sich an den berühmtesten Friedhof Frankreichs, Père Lachaise in Paris, wo die Großen des Landes begraben lagen. Da hatte sie begeistert fotografiert, während Malte mit seinen Kollegen beschäftigt war. Sie hatte Inschriften gelesen, die Stimmung auf sich wirken lassen, sich Geschichten zu den Menschen ausgedacht, deren Daten da in Stein gemeißelt waren, und sich Gedanken über die Endlichkeit des Lebens gemacht und den Trost, der darin lag. Aber das Terrain mit den schwarz-weißen Grabmälern, das sie nun nach kurzer Weiterfahrt präsentiert bekamen, erwies sich als Steinwüste, garniert mit deprimierend wirkenden Kunstblumen. Das ist kein Ort für Träume, dachte sie. Dennoch machte sie ein paar Fotos, fast pflichtbewusst. Es ist, wie es ist, dachte sie, ich habe allmählich genug gesehen. Genug Friedhöfe, genug Kirchen, genug von allem.
(Auszug aus Hannah - Vorhang auf zum großen kleinen Glück)
* Hier geht es zu allen drei Bänden: Band 1 "Hannah - Das Kind will nicht heiraten ...!", Band 2 "Hannah - Ohne Mann ist auch echt blöd" und Band 3, in dem eines Tages Gabriel auftaucht, "Hannah - Vorhang auf zum großen kleinen Glück". Viel Spaß beim
Eintauchen in die ganz persönliche Welt einer Frau, die einfach nicht
sein kann und nicht sein will wie andere.
Bis bald sagt eure
Sigrid Ruth
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