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Dienstag, 19. Juli 2022

Als Sensibelchen in der Psychiatrie arbeiten und Grenzen setzen

Moin, meine lieben Schreiber- und Leserlinge! 

Wenn man im eigenen Beruf eine Berufung sieht, die man voller Eifer und auch mit Begeisterung erfüllt, so sehr, dass man sich jeden Morgen neu freuen kann, wenn es wieder zur Arbeit geht, dann ist man ein Glückspilz. Aber wie viele Menschen fürchten den Montag und sehnen den Freitag herbei oder gar den Urlaub. Wie viele müssen sich über die Maßen anstrengen, bevor endlich wieder Feierabend ist und sie sich entspannen können. Und wenn man dann selbst nach Feierabend nicht mehr richtig loslassen kann, wird es besonders schwierig. Letzteres gilt nicht zuletzt für den sozialen Bereich. Und da wiederum ist die Arbeit in der Psychiatrie für sensible Menschen eine Tätigkeit, die absolut an die Nieren gehen und an die eigenen Grenzen führen kann. Hannah wusste nicht, wie sie zugleich ausreichend empathisch sein und gleichzeitig genügend Distanz aufbauen sollte. Ging das überhaupt? Lest hier, wie es ihr als Ergotherapeutin in der Psychiatrie erging:

Im psychiatrischen Wohnheim war der Altersdurchschnitt der Bewohner deutlich jünger als in der Geriatrie und das Leben wirkte in seiner Verrücktheit lebendiger und fröhlicher auf Hannah. Dabei war es mindestens ebenso tragisch, aber das würde ihr erst nach und nach klar werden. An ihrem ersten Arbeitstag fragte Steffi Hannah, welche Gruppenangebote sie gern machen würde. Das war eine Frage, die Hannah gefiel. Sie schlug allerhand vor: einen Englisch-Kurs, Malen und Zeichnen, Gedächtnistraining, Gymnastik und Tanz. Steffi war begeistert, Hannah legte los und zunächst lief alles gut und sie bekam das Lob, das ihr so wichtig war. Mehrfach sagte Steffi: „Ich bin sehr zufrieden mit deiner Arbeit, Hannah.“

Steffi hatte eine engagierte Mannschaft hinter sich. Gemeinsam versuchten alle, den Bewohnern und Bewohnerinnen das Leben so schön wie möglich zu machen. Es gab Ausflüge und Feste. Man achtete auf gesundes und vielfältiges Essen und eben auf interessante Kursangebote. Hannah versuchte, mitzuhalten bei dem betont fröhlich-lockeren Gehabe der Kolleginnen, doch glücklich war sie noch immer nicht.
„Arbeit ist nun mal kein Honigschlecken“, sagte Rosa. „Man kriegt sein Geld nicht für lau.“
Aber man sollte auch nicht jeden neuen Arbeitstag fürchten müssen, dachte Hannah. Bald schon fühlte sie sich mindestens so überfordert wie bei den Alten nebenan. Da waren einfach viel zu viele ganz unterschiedliche Menschen, mit denen sie umzugehen hatte. Bei jedem spürte sie Bedürfnisse, denen sie zu begegnen suchte, bei ihren Kolleginnen ebenso wie bei den Bewohnern und Bewohnerinnen. Ihr eigenes Bedürfnis nach mehr Ruhe und frischer Luft dagegen wurde nicht erfüllt. Die Luft im Wohnheim war zum Schneiden, denn fast alle im Haus rauchten. Während Conrads Rauchschwaden aus seiner Pfeife sie nur am Feierabend und an den Wochenenden erreicht hatten, war sie nun beständig von Qualm umgeben. Hannahs Seele wehrte sich mit Albträumen. Sie sah sich schwanger und den Fötus in sich wie einen Fisch auf dem Trockenen nach Luft schnappen. Privat kam sie mit Steffi gut genug klar, um ihr von ihrem Traum zu erzählen. Dienstlich war Steffi ihre Chefin, womit Hannah weniger gut klarkam. Dennoch wollte sie unbedingt durchhalten. Es ist nicht selbstverständlich, in meinem Alter einen Job zu haben, sagte sie sich immer wieder, und ich will Malte nicht mehr auf der Tasche liegen als nötig.

Inzwischen war Steffi nicht mehr zufrieden mit ihr und suchte das Gespräch. „Du lässt nach in deinen Leistungen“, sagte sie. „Außerdem bist du offen wie ein Scheunentor. Dein Traum zeigt das deutlich.“ Sie nahm einen Schluck Kaffee. „Du musst dringend an deiner Resilienz arbeiten. Lass das alles hier nicht so sehr an dich heran.“ Sie sah Hannah eindringlich an, bevor ihr Blick wieder weicher wurde. „Also, ich stelle mir immer eine Glasscheibe zwischen mir und den Klienten vor. Dadurch fühlen sie sich gehört und gesehen, aber ich schütze mich selbst davor, dass ihr Kummer und ihr ganzer Jammer auf mich übergehen und mich mit sich fortreißen. Das hilft. Versuch es mal.“
Hannah versprach es. Und ahnte bereits, dass es ihr nicht gelingen würde, genügend auf Distanz zu gehen.

(Auszug aus Hannah Band 2)* 


 

* Hannah Band 3 dürfte in runde zwei Wochen erscheinen. Lust, schon mal in die ersten beiden Bände hineinzuschnuppern? Hier geht es zu Band 1 "Hannah - Das Kind will nicht heiraten ...!" und zu Band 2 "Hannah - Ohne Mann ist auch echt blöd". (Der zweite Band ist übrigens gerade GRATIS zu haben.) Viel Spaß beim Eintauchen in die ganz persönliche Welt einer Frau, die einfach nicht sein will wie andere.

Bis bald sagt eure

 Sigrid Ruth 

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